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Urteil im sog. Marktplatzverfahren

Datum: 01.03.2024

Kurzbeschreibung: 

Urteil im sog. Marktplatzverfahren

- Verfahren endet mit Freispruch bzw. einer Verurteilung wegen Körperverletzung im Amt - 

 Das Schwurgericht des Landgerichts Mannheim hat heute den Angeklagten Z. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen freigesprochen und den Angeklagten J. der Körperverletzung im Amt schuldig gesprochen und gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 50,00 Euro verhängt.

Zur Begründung hat der Vorsitzende ausgeführt, dass die Kammer nach dem Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen sei, 

-      dass der Polizeieinsatz als solcher mit Ausnahme der vier Faustschläge durch den Angeklagten J. gerechtfertigt gewesen sei und 

-      dass wegen der nicht aufzuklärenden Frage der konkreten Todesursache sowohl eine Verurteilung wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge als auch eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung auszuscheiden hatte.

 Der Angeklagte Z. sei deshalb freigesprochen und der Angeklagte J. wie aus dem Tenor ersichtlich wegen der vier nicht gerechtfertigten Faustschläge wegen Körperverletzung im Amt schuldig gesprochen worden.

 Der Vorsitzende betonte nach Verlesung des Tenors zunächst, dass der Tod und die Umstände des Todes von Herrn P. tragisch gewesen seien und dass sich die Kammer bewusst sei, dass dessen Tod für seine Angehörigen sehr schmerzhaft sei. 

Tragisch sei an dem Geschehen, dass Herr P. im Zuge eines Polizeieinsatzes verstorben sei, der das Ziel gehabt habe, ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus zurückzubringen, und dass er - unabhängig von der Frage, was die konkrete Todesursache gewesen sei - nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ohne diesen Polizeieinsatz nicht zu diesem Zeitpunkt verstorben wäre. 

 Im Einzelnen führte der Vorsitzende im Rahmen der Urteilsbegründung u.a. Folgendes aus:

 1. Zur Frage der Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes

 Der Vorsitzende wies im Rahmen der Urteilsbegründung darauf hin, dass die beiden Beamten nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen seien, Herrn P. - auch gegen dessen Willen - in das Zentralinstitut für seelische Gesundheit zurückzuführen. Der behandelnde Psychiater habe, weil er am Morgen des 02.05.2022 einen akuten Krankheitsschub der paranoiden Schizophrenie bei Herrn P. festgestellt und diesen als akut eigengefährdet angesehen habe, auf der Grundlage des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG) angeordnet, dass sein Patient in der geschlossenen Abteilung des Zentralinstituts für seelische Gesundheit verbleiben müsse (sog. Fürsorgliche Zurückhaltung, § 16 PsychKHG). Es handele sich dabei um eine Eilkompetenz, die das Gesetz einer psychiatrischen Einrichtung einräume, in dringenden Fällen bevor eine Unterbringung beantragt oder angeordnet werden könne, einen Patienten in der Einrichtung zurückzuhalten. 

 Vor diesem Hintergrund sei die Rechtmäßigkeit des Einsatzes unmittelbaren Zwangs zu beurteilen gewesen: 

Nachdem Herr P. der Aufforderung seines Arztes, in die Klinik zurückzukommen, keine Folge geleistet und sich im öffentlichen Raum bewegt habe, habe sich der Arzt schließlich an die beiden Polizeibeamten gewandt. Nachdem Herr P. der Aufforderung der Beamten, sie in das Zentralinstitut für seelische Gesundheit zu begleiten, nicht nachkommen gewollt habe, sei der Einsatz unmittelbaren Zwangs (§ 66 PolG BW) grundsätzlich zulässig gewesen. Es habe - polizeirechtlich betrachtet - eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgelegen. Die Polizeibeamten seien zu einem Einsatz verpflichtet gewesen.

 Ein Gespräch mit Herrn P. sei ohne Erfolg geblieben. Dem Versuch der Beamten, Herrn P. zunächst am Arm bzw. an dessen Kleidung festzuhalten, habe sich dieser widersetzt, indem er sich losgerissen und sich entfernt habe. Spätestens als Herr P. dem Angeklagten J. zwei Schläge in das Gesicht versetzt habe, sei auch das nachfolgende Zu-Boden-Bringen und dessen Fesselung im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwangs nach dem Polizeigesetz gedeckt gewesen.    

 Soweit im Verlauf des Geschehens durch den Angeklagten J. auf dem Weg zum Marktplatz Pfefferspray gegen Herrn P. eingesetzt worden sei, sehe die Kammer auf Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme den Pfeffersprayeinsatz des Angeklagten J. als durch Notwehr gerechtfertigt an. Herr P. habe mit erhobener Faust und drohender Körperhaltung zu einem Schlag gegen den Beamten angesetzt. Der Beamte habe sich in der konkreten Situation, in der ein Ausweichen für ihn nicht möglich gewesen sei, in Ausübung des Notwehrrechtes dagegen wehren dürfen. 

 2. Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Faustschläge

 Der Angeklagte J. habe, nachdem Herr P. zu Boden gebracht worden sei, diesem insgesamt vier Faustschläge versetzt. Hinsichtlich der ersten beiden Schläge habe die Beweisaufnahme zwar ergeben, dass sich Herr P. massiv gegen die Fixierung gewehrt, sich aufgebäumt und auch zu einem Biss gegen den Angeklagten J. angesetzt habe. Insoweit habe zwar auch ein Angriff auf den Angeklagten J. vorgelegen; allerdings sei die Kammer der Auffassung, dass die gegen den Kopf gerichteten beiden Schläge unter Berücksichtigung der Gesamtumstände keine gebotene Verteidigungshandlung dargestellt haben, weil es dem Angeklagten J. möglich und zumutbar gewesen sei, den Angriff durch Nachuntendrücken des Kopfes von Herrn P. abzuwehren, wie er dies auch einige Sekunden später getan habe.

 Auch die ca. 20 Sekunden später erfolgten Schläge 3 und 4 seien nicht durch Notwehr gedeckt gewesen, da bereits objektiv kein Angriff auf den Angeklagten J. mehr vorgelegen habe. Soweit der Angeklagte J. sich dahingehend eingelassen habe, er habe vermutet, Herr P. habe einen gefährlichen Gegenstand aus seiner Hosentasche ziehen wollen, sei diese von ihm nur angenommene Gefahr nicht so dringend gewesen, dass sie in der konkreten Situation Faustschläge gegen den Kopf habe rechtfertigen können. Auch polizeirechtlich sei diese Anwendung unmittelbaren Zwangs nicht angemessen gewesen.

 Der Angeklagte J. habe sich deshalb aufgrund der vier Faustschläge wegen Körperverletzung im Amt gem. § 340 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

3. Zur Frage der Ursächlichkeit der Faustschläge für den Todeseintritt

 Eine Verurteilung des Angeklagten J. wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge habe hingegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erfolgen können. Hintergrund dieses Vorwurfs sei gewesen, dass zumindest einer seiner Schläge bei dem Geschädigten zu einem Nasenbluten geführt habe, das die Atemwege verlegt habe, wonach es in Kombination mit der Bauchlage des Geschädigten zu einem Ersticken gekommen sei. Der Vorsitzende betonte in diesem Zusammenhang, dass auf Grundlage der Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit habe festgestellt werden können, dass die Schläge des Angeklagten J. für den Tod von Herrn P. zumindest mitursächlich geworden seien. 

Im Rahmen der Beweisaufnahme seien vier Sachverständige für Rechtsmedizin und ein Sachverständiger für forensische Toxikologie gehört worden. Auf der Grundlage dieser Gutachten habe nicht mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können, dass Herr P., der - worin sich alle Sachverständige einig gewesen seien - ein schwer vorgeschädigtes Herz gehabt habe, an den Folgen seiner Erregung und der Anstrengungen, bis er zu Boden gebracht war, einen plötzlichen Herztod erlitten habe.

 4. Zur Frage des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen

Vor dem Hintergrund dieses Beweisergebnisses zur Todesursache werde auch deutlich, dass eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen, ein Vorwurf, der in erster Linie dem Angeklagten Z. zur Last gelegt worden sei, und als solcher auch in Bezug auf den Angeklagten J. zu prüfen gewesen sei, nicht habe erfolgen können. 

Dieser Vorwurf sei mit Blick darauf erhoben worden, dass die Beamten Herrn P. mehrere Minuten lang mit Handschließen auf dem Rücken auf dem Bauch haben liegen lassen, obwohl in der polizeilichen Ausbildung gelehrt worden sei, dass eine in dieser Position fixierte Person nach Herstellen einer statischen Situation und nach Eigensicherung unverzüglich in eine stabile Seitenlage zu bringen sei, um auf diese Weise das Risiko eines lagebedingten Erstickungstodes zu vermeiden. Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen sei allerdings, dass festgestellt werden könne, dass Herr P. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können, wenn er nach Abschluss der Fixierung in eine stabile Seitenlage gebracht worden wäre. Da auf der Grundlage der Gutachten nicht mit ausreichender Sicherheit habe ausgeschlossen werden können, dass Herr P. einen plötzlichen Herztod erlitten habe, hätte auch eine zeitnahe Umlagerung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zur Rettung von Herrn P. geführt, zumal - worin sich die Sachverständigen einig gewesen seien - eine Laienreanimation in solchen Fällen nur selten zu einer Rettung führe. 

 5. Zur Höhe der Strafe

 Hinsichtlich der Bemessung der Strafe für den Angeklagten J. habe die Schwurgerichtskammer, weil nach Abwägung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber hinaus nicht in Betracht gekommen sei, in Anwendung des § 47 Abs. 2 StGB auf eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen erkannt. 

 Ergänzende Hinweise:

1. Rechtsmittel

Gegen das Urteil des Schwurgerichts ist nur das Rechtsmittel der Revision gem. § 333 StPO zulässig, das dem Angeklagten J., der Staatsanwaltschaft sowie den Nebenklägern zusteht.

Die Revisionseinlegungsfrist beträgt gem. § 341 Abs. 1 StPO eine Woche ab Verkündung des Urteils, d.h. sie endet mit Ablauf des 08. März 2024.

Über die Revision hat der Bundesgerichtshof zu entscheiden, sofern innerhalb eines Monats ab Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe eine formgerechte Revisionsbegründung erfolgt, §§ 344, 345 StPO. 

 2. § 340 StGB - Körperverletzung im Amt

(1) Ein Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst eine Körperverletzung begeht oder begehen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Die §§ 224 bis 229 gelten für Straftaten nach Absatz 1 Satz 1 entsprechend.

 3. § 16 PsychKHG BW - Fürsorgliche Aufnahme und Zurückhaltung

(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung vorliegen, und erscheint eine sofortige Unterbringung erforderlich, so kann eine anerkannte Einrichtung eine Person aufnehmen oder zurückhalten, bevor die Unterbringung beantragt oder angeordnet ist.

(2) Die dringenden Gründe für die Annahme einer Krankheit und der Unterbringungsbedürftigkeit müssen vor der Aufnahme in der anerkannten Einrichtung durch ein ärztliches Zeugnis belegt werden, wenn der Einholung eines solchen Zeugnisses keine besonderen Gründe entgegenstehen. Ein besonderer Grund in diesem Sinne liegt insbesondere vor, wenn die vorherige Einholung eines ärztlichen Zeugnisses nicht ohne wesentlichen Aufschub möglich ist und hierdurch eine unmittelbare Gefahr für Rechtsgüter von erheblichem Gewicht der betroffenen oder einer dritten Person besteht.

(3) Die aufgenommene oder zurückgehaltene Person ist unverzüglich von einer Ärztin oder einem Arzt der anerkannten Einrichtung zu untersuchen. Bestätigt die Untersuchung die Annahme der Voraussetzungen für eine Unterbringung nicht, so ist die Person sofort zu entlassen.

(4) Die anerkannte Einrichtung hat den Antrag auf Anordnung der Unterbringung unverzüglich, spätestens aber bis zum Ablauf des zweiten Tags nach der Aufnahme oder Zurückhaltung abzusenden, falls eine weitere Unterbringung gegen den Willen der betroffenen Person erforderlich erscheint. Fällt die Aufnahme oder Zurückhaltung auf einen Freitag, ist der Antrag spätestens bis zum darauffolgenden Montag, zwölf Uhr, zu stellen.

(5) Verbleibt die betroffene Person freiwillig in der anerkannten Einrichtung, so ist ein Antrag nach Absatz 4 zurückzunehmen. Der Antragsrücknahme ist die Einwilligungserklärung der betroffenen Person beizufügen.

(6) Für die Fixierung einer fürsorglich aufgenommenen und zurückgehaltenen Person finden die Regelungen des § 25 Absatz 1, 3, 4 Sätze 2 und 3 sowie Absatz 5 bis 7 entsprechende Anwendung.

 4. § 66 PolG BW - Voraussetzungen und Durchführung des unmittelbaren Zwangs

(1) Unmittelbarer Zwang darf nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint. Gegen Personen darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen nicht erreichbar erscheint. Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand der betroffenen Person angemessen sein. Gegenüber einer Menschenansammlung darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn seine Anwendung gegen einzelne Teilnehmer der Menschenansammlung offensichtlich keinen Erfolg verspricht.

(2) Unmittelbarer Zwang ist, soweit es die Umstände zulassen, vor seiner Anwendung anzudrohen.

(3) Unmittelbarer Zwang darf nicht mehr angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck erreicht ist oder wenn es sich zeigt, dass er durch die Anwendung von unmittelbarem Zwang nicht erreicht werden kann.

(4) Für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs zur Vollstreckung von Verwaltungsakten der Polizei gelten im Übrigen die §§ 2 bis 6, 9, 10, 12, 21, 27, 28 und § 31 Absatz 1, 2, 4 und 6 des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes.

 5. § 47 StGB - Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen

(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.

(2) Droht das Gesetz keine Geldstrafe an und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerläßlich ist. Droht das Gesetz ein erhöhtes Mindestmaß der Freiheitsstrafe an, so bestimmt sich das Mindestmaß der Geldstrafe in den Fällen des Satzes 1 nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe; dabei entsprechen dreißig Tagessätze einem Monat Freiheitsstrafe.

 Dr. Joachim Bock

Pressesprecher und Vorsitzender Richter am Landgericht       

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